Corona: Ansteckungsrisiko beim Führen – wie sich und andere schützen – BBSB-Inform – 17.04.2020
Sehr geehrte Damen und Herren, zu Personen, mit denen man nicht zusammenlebt, sollte man einen Abstand von zwei Metern halten – das ist die zentrale Regel, um eine Corona-Infektion zu verhindern. Es ist klar, dass diese Regel verletzt wird, wenn man sich von einem anderen Menschen führen lässt. Blinde und sehbehinderte Menschen müssen also abwägen: Auf der einen Seite die sichere, schnelle und unfallfreie Fortbewegung, auf der anderen Seite die Vermeidung eines Ansteckungsrisikos. Grundsätzlich sollte man Situationen aus dem Weg gehen, in denen man auf das Führen durch andere, insbesondere fremde Personen angewiesen ist. In vielen Fällen ist es blinden und sehbehinderten Menschen durchaus möglich, sich allein und doch sicher durch den öffentlichen Raum zu bewegen, auch wenn es eventuell etwas länger dauert. Oft lässt sich zudem ein Gang vermeiden, indem man beispielsweise den Einkauf durch einen Hilfsdienst erledigen lässt. Für das Führen gibt es eine bewährte Regel: Bei ungefähr gleicher Körpergröße wird der Arm der führenden Person etwa in Ellenbogenhöhe gegriffen. Der blinde oder sehbehinderte Mensch geht ungefähr eine Schrittlänge hinter dem Begleiter und ist so rechtzeitig über Kursänderungen, Hindernisse usw. informiert. Aber gilt das auch in Corona-Zeiten? Der DBSV hat Kontakt mit Prof. Bert Blocken aufgenommen. Der Belgier hat in einer Studie untersucht, wie winzige Tröpfchen in der Atemluft übertragen werden, wenn zwei Menschen sich gemeinsam vorwärtsbewegen. Anschließend haben wir uns mit Ulrike Schade beraten, der Vorsitzenden des Bundesverbandes der Rehabilitationslehrer und -lehrerinnen für Blinde und Sehbehinderte. Gemeinsam haben wir Hinweise zusammengestellt, mit denen man das Risiko einer Ansteckung zwar nicht auf null reduzieren, aber zumindest dazu beitragen kann, sich und andere zu schützen. Viren können über winzige Tröpfchen im Atem übertragen werden. Unter Leitung von Prof. Bert Blocken wurde in einer Studie der Universitäten Leuven (Belgien) und Eindhoven (Niederlande) untersucht, wie diese Tröpfchen sich verhalten, wenn zwei Menschen in die gleiche Richtung gehen. Die meisten Tröpfchen fängt man sich laut dieser Studie ein, wenn man hinter jemandem hergeht, weil man dann die „Tröpfchenwolke“ des Vordermanns ins Gesicht bekommt. Geht man dagegen nebeneinander, ist das Risiko am geringsten. Mit der Beachtung der folgenden Hinweise kann man das Risiko einer Ansteckung zwar nicht auf null reduzieren, aber zumindest dazu beitragen, sich und andere zu schützen: Situationen vermeiden, in denen man auf das Führen durch fremde Menschen angewiesen ist Hilfe nur annehmen, wenn sie wirklich nötig ist (nicht jedes nett gemeinte Angebot annehmen, wenn man es nicht unbedingt braucht) Führen wenn möglich durch Ansagen ersetzen, sich also durch Zurufe aus sicherer Entfernung „navigieren“ lassen Bei der Inanspruchnahme von Hilfe: Wenn möglich nebeneinander gehen mit ab und zu kurzem Kontakt (mit Handrücken antippen) und der Stimme des Sehenden als Orientierung Tragen einer Atemmaske, insbesondere durch die führende Person Hilfsbereite fremde Personen fragen, ob sie eine Atemmaske tragen, bevor man Hilfe annimmt Den Führenden nicht am Ellenbogen anfassen (könnte durch Husten-Etikette kontaminiert sein), sondern lieber am Oberarm, gegebenenfalls Handschuh benutzen Beim Führen als Verbindung einen Strick mit Knoten oder eine sogenannte „Wanderkugel“ (Seil mit Holzkugeln an den Enden) benutzen Unbedingte Handhygiene – auf keinen Fall mit der Hand, die den Führenden berührt hat, anschließend ins eigene Gesicht fassen Stand: 16. April 2020 Tipps vom Virologen für blinde und sehbehinderte Menschen Prof. Jonas Schmidt-Chanasit ist Virologe an der Uni Hamburg und Leiter der Virusdiagnostik am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin. Für den Corona-Ratgeber des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes erklärt er, worauf blinde und sehbehinderte Menschen in der Corona-Krise achten müssen. Interview: Volker Lenk Lenk (VL): Unter unseren Mitgliedern gibt es einige, die vielleicht zu Risikogruppen gehören – was können Sie sagen zu Menschen, die 70, 80 Jahre oder älter sind? Schmidt-Chanasit (JSC): Die gehören zu einer Risikogruppe, das heißt, sie haben ein erhöhtes Risiko, an dieser Infektion schwer zu erkranken und auch zu versterben. Insofern müssen sich diese Menschen jetzt besonders vor einer Infektion schützen, also auf soziale Kontakte, beispielsweise Besuche, verzichten. In Pflegeheimen werden diese Einschränkungen deshalb auch entsprechend durchgesetzt. VL: Wie sieht es aus bei Menschen, deren Augenerkrankung auf einen Diabetes zurückzuführen ist? JSC: Eine Zuckererkrankung kann zu Organschädigungen führen und das wiederum kann sich bei schweren Verläufen einer Corona-Infektion negativ auf den Krankheitsverlauf auswirken. Insofern ist Diabetes mellitus als Grunderkrankung ein Risikofaktor. Wenn der Körper gegen eine Corona-Erkrankung kämpft und es Einschränkungen bei der Funktionsfähigkeit der Organe gibt, dann ist das eben nicht so gut. VL: Was können Sie zu Uveitis-Betroffenen sagen? JSC: Das Auge ist bei schweren Infektionen kein entscheidendes Organ, um diese Infektionen zu besiegen. Es gibt also erstmal keinen Zusammenhang von Uveitis und schweren Verläufen einer Corona-Infektion. Allerdings haben wir auch hier manchmal die Situation, dass die Grunderkrankung zu Problemen führt. Wenn die Uveitis beispielsweise im Rahmen eines Morbus Bechterew auftritt, dann führt diese Grunderkrankung oder auch die damit verbundene Medikation zu einem erhöhten Infektionsrisiko. VL: Es gibt immer wieder Hinweise, dass man im öffentlichen Bereich möglichst wenig anfassen soll. Blinde und sehbehinderte Menschen sind besonders darauf angewiesen, sich taktil zu orientieren, müssen also viele Sachen berühren. Was können Sie in dieser Situation raten? JSC: Das ist eine schwierige Situation, aber eine Schmierinfektion stellt jetzt auch nicht den Hauptübertragungsweg dar. Das viel höhere Risiko ist der persönliche Kontakt mit Erkrankten. Die indirekte Übertragung über Oberflächen ist wesentlich unwahrscheinlicher. Was man beachten muss, wenn man Oberflächen im öffentlichen Bereich berührt hat, ist, dass man sich auf keinen Fall ins Gesicht fassen sollte. Ich weiß nicht, inwieweit es möglich ist, Handschuhe zu tragen, das Tastvermögen ist dann ja eingeschränkt. Falls das möglich ist, würde man das empfehlen. VL: Und wenn man sich sozusagen durch den öffentlichen Bereich gekämpft hat, sagen wir mal zum Arbeitsplatz, was soll man beachten, wenn man angekommen ist? JSC: Dass man sich umgehend, sobald es möglich ist, gründlich die Hände wäscht oder sie desinfiziert, und das ist dann auch schon ausreichend. Falls man Handschuhe getragen hat, sollte man diese natürlich ablegen. Auch am Arbeitsplatz sollte man sich aber häufig und immer wieder die Hände waschen oder sie desinfizieren. VL: Blinden und sehbehinderten Menschen fällt es naturgemäß schwer, selbst auf das Abstandhalten zu achten, unter Umständen merken sie es nicht, wenn ihnen jemand näher kommt, als es gut ist. Was können sie tun, um eine Ansteckung zu verhindern? JSC: Hier sollte man auch nicht zu ängstlich sein. Es besteht gerade im offenen Raum, das heißt draußen, keine Gefahr, wenn einer zu nah an einem vorbei geht oder wenige Sekunden neben einem steht. Gefährlich wird es, wenn in geschlossenen Räumen ein Gespräch geführt wird und der Abstand mehrere Minuten, wir sagen 15 Minuten, nicht ausreichend ist. Aber das merkt man dann ja auch und die wenigen Sekunden, bis man es bemerkt, sind keine Gefahr. VL: Gibt es neben den allgemeinen Regeln, wie richtiges Husten und Niesen, Abstandhalten und Händewaschen, andere Hygiene-Hinweise, die für blinde und sehbehinderte Menschen vielleicht hilfreich wären? JSC: Das ist schon das wichtigste. Man sollte bei Sachen, die man normalerweise gemeinsam nutzt, darauf achten, dass man die Sachen personalisiert, das heißt, dass möglichst nur ein Mensch sie letztendlich benutzt und dass sie nicht durch viele verschiedene Hände gehen. Das Gespräch wurde am 24. März 2020 geführt. Quelle: „Corona-Ratgeber“ des DBSV www.dbsv.org/corona Ihr BBSB-Inform BBSB-Inform wird Ihnen, wann immer Sie das wollen, am Telefon vorgelesen. Wählen Sie: 0871 7000 14000. 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